Aktuelle Ernährungsmedizin 2002; 27(6): 434-437
DOI: 10.1055/s-2002-35676
Verlautbarung
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neugeborenenikterus und Stillen

Stellungnahme der Nationalen Stillkommission Deutschland am BgVVNewborn Jaundice and Breast FeedingH.-B.  von Stockhausen Nationale Stillkommission am BgVV: B. Benkert, K. E. Bergmann, R. Bergmann, B. Hahn, W. Hörz, R. Huch, M. Kersting, G. Meese, H. Przyrembel (Geschäftsführung), M. Scheele, E. Sporleder, S. Springer, H.-B. von Stockhausen, K. Vetter (Sprecher), M. Uhlemann, A. Wehling. E-mail: stillkommission@bgvv.de
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Publication Date:
22 November 2002 (online)

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Einleitung

Der Fet und das Neugeborene produzieren beim Abbau von Hämoglobin (Häm) mehr als doppelt so viel Bilirubin pro kg Körpergewicht und Tag wie der Erwachsene [6]. Die wichtigsten Ursachen sind eine auf 60 % verkürzte Lebensdauer der Erythrozyten bei gleichzeitig deutlich größerem Erythrozytenvolumen und einer signifikant höheren Hämoglobinkonzentration. Hinzu kommt beim Neugeborenen ein hoher Anteil von nicht verwertbarem Hämoglobin, das als so genanntes Shunthämoglobin gleich wieder abgebaut wird. Dennoch wird das Neugeborene nicht ikterisch geboren, da der Fet bis zur Geburt sein Bilirubin über die Plazenta in den mütterlichen Kreislauf ausscheidet. Da der Mensch und auch die meisten Säugetiere das schlecht plazentagängige, aber atoxische Primärprodukt des Hämabbaus, das Biliverdin, weiter zu Bilirubin reduzieren, muss das Neugeborene postnatal erst lernen, diese Substanz selbst zu verstoffwechseln. Als nicht polares, lipophiles Molekül vermag Bilirubin wohl sehr leicht biologische Membranen wie in der Plazenta zu passieren, doch ist es bei normalem Blut-pH praktisch wasserunlöslich und daher weder über die Leber noch über die Niere ausscheidbar.

Die Bilirubinausscheidung des Neugeborenen unterscheidet sich vom Erwachsenen vor allem durch vier Tatsachen. So ist das für die Aufnahme von Bilirubin verantwortliche Ligandin in der Leberzelle in den ersten Lebenstagen noch nicht in ausreichender Menge vorhanden [18] [57]. Die Aktivität der Glukuronyltransferase beträgt bei Geburt weniger als 1 % und steigt erst während der ersten Lebensmonate auf Werte des Erwachsenen an [30]. Das Neugeborene bildet anfangs bevorzugt das instabile Bilirubinmonoglukuronid. Dieses kann im Gegensatz zum Diglukuronid durch das nur bei jungen Säuglingen noch vermehrt vorhandene Enzym β-Glukuronidase leicht wieder aufgespalten werden, so dass freies Bilirubin rasch in die Blutbahn zurückgelangt [21].

Die werdende Funktion der Bilirubinausscheidung ist bei Neugeborenen sehr variabel und kann von vielen Faktoren positiv und negativ beeinflusst werden. So sind gestillte Neugeborene im Vergleich zu nicht gestillten etwas stärker und vor allem länger ikterisch. Die Tatsache, dass Bilirubin ein wichtiges natürliches Antioxidans ist, hat daher verständlicherweise zu einer Diskussion darüber geführt, ob es für das Neugeborene vorteilhaft ist, gelb zu werden oder nicht [45] [51]. Andererseits ist aber nicht zu bestreiten, dass Bilirubin in sehr hoher Konzentration ein Zellgift ist und es in sehr seltenen Fällen auch ohne eine zusätzliche Hämolyse zu einem Kernikterus kommen kann [42] [44]. Es besteht daher die Notwendigkeit, den so genannten Stillikterus zu bewerten und Regeln über das Vorgehen im Einzelfall aufzustellen.

Literatur

Prof. Dr. H.-B. von Stockhausen

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